Die Schafe in den Straßen Londons

 

Lee Rigby, R.I.P.

Sie erinnern sich an diesen alten Greenpeace-Slogan? Er zierte dereinst jedes dreißigste Fahrzeug in der (alten) Bundesrepublik Deutschland, Türen, Einrichtungsgegenstände, Textilien usw. Sein Gehalt indianischer Weisheit war nicht diskutierbar. Jedenfalls habe ich nicht erlebt, daß er angezweifelt worden wäre. (Dabei waren wir so stolz, „kritisch“ zu sein. Drollig, nicht wahr?)

Erst wenn der letzte Baum gerodet, 
der letzte Fluss vergiftet,
der letzte Fisch gefangen wird,
werdet ihr feststellen, daß man Geld nicht essen kann.

Nachdem am 22. Mai 2013 der britische Soldat Lee Rigby ermordet worden war, machten einige amerikanische Kommentatoren auf etwas aufmerksam, das in der europäischen Diskussion, wie diese Morde zu „interpretieren“ seien, unterzugehen droht(e). Sie vermerkten mit Bestürzung, daß alle dort anwesenden, einige Dutzend Schritte entfernt stehenden Männer nichts getan hatten, um Rigby zu retten. Kein Mann schritt ein. Deshalb verdienten jene (männlichen) Briten es, so eine der Stimmen aus den Vereinigten Staaten, als „Schafe in den Straßen Londons“ bezeichnet zu werden.

Es geht mir nicht um Briten-Bashing, denn ich mag das Land und sehe dessen Niedergang mit Bedauern. Ich möchte das Augenmerk auf etwas anderes lenken: Das Gesetz der unintendierten (ungeahnten und/oder ungewollten) Folgen menschlichen Handelns.

Klassische Formulierung: Robert K. Merton, „The Unanticipated Consequences of Purposive Social Action“, American Sociological Review, 1, 894-904, 1936. Das heißt, unsere Handlungen haben vielfältige Konsequenzen, deren Großteil wir nicht einmal erahnen können, und sowohl unter den nicht-wißbaren, als auch denjenigen Folgen, mit denen man (bei einiger Überlegung) rechnen kann, finden sich solche, die wir kaum begrüßen dürften.

Folglich sollte auch das Wie-Die-Schafe-Dastehen in der Hauptstadt des Vereinigten Königreichs eine ungeahnte und – wie zu hoffen steht – ungewollte Konsequenz menschlichen Handelns sein, und zwar des Tuns all jener, die in Bildungsinstitutionen und solchen betreuender Art (Kindergärten u.ä.), in Periodika und Büchern die „Überwindung traditioneller Geschlechterrollen“, die „Entlarvung patriarchaler Strukturen in Wissenschaft und Kultur“, sowie die „Dekonstruktion männlichen Selbstverständnisses als Ernährer und Verteidiger“ vorantreiben. Umerziehung. An Euren Früchtchen werdet Ihr sie erkennen:

Erst wenn der letzte Kerl „erzogen“,
die letzte Stolz gebrochen,
der letzte Mut verlacht sein wird,
werdet ihr feststellen, daß ein Sitzpinkler Euch nicht schützen kann.

Glückwunsch!

***

Kein Beifall von der falschen Seite! Die gegenwärtigen Zeilen empfehlen keineswegs, das Ideal des Mannes im Schlagetot zu erblicken. Sie wollen nicht, in der Manier Max Schelers oder Stefan Georges, das „Heldische“ gegen bürgerlichen Habitus, die bürgerliche Zivilisation oder abwägende Vernunft ausspielen. Wohl aber unterstreichen sie, daß eine Offene Gesellschaft, wie Karl Popper sie sich vorstellt, nur existieren kann, wenn unter deren Bewohnern eine hinreichende Anzahl Kerle lebt, die zulangen können, wo es nottut.

Mit anderen Worten: Wer die im traditionellen Sinne Mannhaften verachtet, bedarf der im traditionellen Sinne Mannhaften, um seine Freiheit, mit der Freiheit seinen Wohlstand – und mit seiner Freiheit und seinem Wohlstand die Gelegenheit zu eloquenter Kurzsichtigkeit sicherzustellen.

***

Norbert Bolz vermutet: „Es gibt einen antiheroischen Affekt, und die moderne, […] demokratische Welt belässt es nicht bei einem Abbau des Heroischen. Sie will es entlarven, zerstören, lächerlich machen. Die Heldenzerstörung endet dann in Oberseminaren mit dem Tod des Subjekts.“ (Norbert Bolz, „Der antiheroische Affekt“, Merkur, 2009, Nr. 9/10, S. 768) Neid und Ressentiment also ließen, so Bolz‘ Scheler verpflichtetes Argument, hätten zum Wunsch geführt, dem westlichen Manne alles Heldische – wie überhaupt jede unbeschwerte Freude am Herausragend-Sein (einschließlich Dankbarkeit) – auszutreiben: „Männlichkeit ist seither das Thema der Ressentimentkritik der Moderne an sich selbst.“ (Ebd., S. 767.)

Man und vor allem: frau kann mit dieser Ressentimentkritik gutes Geld verdienen und Anerkennung gewinnen, wie Michael Klonovsky berichtet:

Der Buchhandel bietet Zeitgeist-Trouvaillen feil wie „Blöde Männer“, „Nur ein toter Mann ist ein guter Mann“, „Männer wie Hunde“, „Ein bisschen Männerhass steht jeder Frau“. Kein Wunder, dass Frauen in Umfragen Männer deutlich negativer beschreiben als umgekehrt. Die Zeitschrift „Emma“ verbreitet neben quellenfreien antimaskulinen Statistiken Scherze wie „Was ist ein Mann in Salzsäure? Ein gelöstes Problem. Was ist ein Mann im Knast? Artgerechte Haltung“. Dafür bekommt frau heutzutage, wie Alice Schwarzer, vom Patriarchat das Bundesverdienstkreuz. Die niedersächsischen Landtags-Grünen haben schon eine neue Benachteiligung erkannt und fordern eine Frauenquote bei der Ordensverleihung.

Doch ist das nicht „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“, als solche zu verachten und, wie in Europa üblich, strafrechtlich zu verfolgen?

***

In der Neuen Welt wurde kürzlich ein Dreizehnjähriger von der Direktion seiner Schule bestraft, weil er einem Mitschüler zur Hilfe eilte, der mit einem Messer angegriffen wurde. Man schätze es nicht, wenn ein Schüler den Helden spielen wolle. Seine Mutter

was politely informed the school did not “condone heroics,” she said. Instead, Briar [so der Name des, nun, Helden] should have found a teacher to handle the situation. “I asked: ‘In the time it would have taken him to go get a teacher, could that kid’s throat have been slit?’ She said yes, but that’s beside the point. That we ‘don’t condone heroics in this school.’ ”

Es gibt eine ganze Anzahl solcher Fälle. Das heißt, die handelnden Institutionen scheinen der Regel verpflichtet zu sein, keine rationale Güterabwägung vorzunehmen, sondern Ideologie dem gesunden („gemeinen“) Menschenverstand vorzuziehen. Umerziehung von Amts wegen also. Wir – diesseits des Großen Teichs – haben das kaum mehr nötig, so gut sind wir schon, oder?