„Kontrovers“

„Kontrovers“

Wann eigentlich wurde das Wort „kontrovers“ zu einer Unterstellung von Schimpf und Schande? Ist unser Geist so schwachbrüstig, daß wir uns vor Kontroversem – und Kontroversen – fürchten? Läßt sich denn überhaupt etwas Interessantes äußern, ohne zur gleichen Zeit Kontroverses zu berühren? Und gereicht die Vorstellung einer Welt ohne Kontroverses – und Kontroversen – nicht zur Schreckensvision eines Daseins, in dem blasierte Langeweile herrscht, einem gepflegten Käfig gleich, in dem wir als gepuderte (und durchgeimpfte) Ziermäuse vorsichtig und gemächlich in unserem Laufrädchen vor uns hin stolzieren, nachdem man uns alle Zähne gezogen hat, versteht sich, damit wir einander nicht verletzen?

(Bild: Leonardo da Vinci, Ginevra de‘ Benci, etwa 1474/1478. National Gallery of Art (USA), gemeinfrei.)

VDH: Vom Zustand der USA

VDH: Vom Zustand der USA

Wir leben in interessanten Zeiten. Der Historiker Victor Davis Hanson gibt einen Überblick über die Probleme der USA, der unter anderem diesen Hinweis enthält:

The traditional bedrocks of the American system — a stable economy, energy independence, vast surpluses of food, hallowed universities, a professional judiciary, law enforcement, and a credible criminal justice system — are dissolving.

(Die bewährten Fundamente der amerikanischen Zivilisation – eine stabile Wirtschaft, weitgehende Autarkie in der Energieversorgung, ein gewaltiger Überschuß an Lebensmitteln, bedeutende und mit höchstem Respekt betrachtete Universitäten, ein verläßliches Gerichts- und Polizeiwesen, ein vertrauenswürdiges und ernstzunehmendes Strafverfolgungs- und Strafvollzugssystem – lösen sich auf.)

Wer zur Häme neigt, sollte sich fragen, ob die Alte Welt ohne die Neue Welt bestehen könne. Bitte lesen Sie den gesamten Text.

(Bild: New York: ships in the dock on the North River. Photograph, ca. 1880. Wellcome Collection. Gemeinfrei.)

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Bill Whittle: Tritt mich!

Der Westen, sagt Bill Whittle, trage ein Zettelchen auf dem Rücken. Auf dem Zettelchen stehe: Tritt mich! Das Zettelchen seien unsere Eliten, deren Anmutung. Die Feinde des Westens erkennten, so Whittle weiter, daß es dem Westen an Ernsthaftigkeit mangle; es wachse die Wahrscheinlichkeit, daß die Feinde des Westens daraus schließen: Jetzt oder nie!

„ph“-Phobie

Eines der tieferen Rätsel unter der Sonne ist, was die Leute gegen das „ph“ haben. Zuweilen scheint es, als fühlten sie sich regelrecht bedroht, wo es ihnen in schönen Wörtern begegnet, z.B. „Photographie“ oder „Telephon“. Was wird gewonnen, wenn wir diese Wörter modernisieren, also recht eigentlich verstümmeln zu den reiz- und respektlosen Zombies „Fotografie“ oder „Telefon“?

Weshalb ich von Respektlosigkeit schreibe? Schlicht deshalb, weil der Respekt, der ahnungsvolle Schauer vor dem kaum glaublichen Umstand, daß mit Licht gezeichnet (gemalt, geschrieben) werde, ja überhaupt mit Licht gezeichnet werden könne, verlischt (sic!), wo die Schreibung enthellenisiert wird. Gemeinmachung führt nur allzuoft zur Gemein-Machung.

Vergleichbares gilt für das zum Telefon degradierte Telephon. Von hier ist es nicht mehr weit zum Fon. Da hat man denn auch nichts wirklich Mitteilenswertes mehr zu sagen, und wie immer stirbt die Kultur Trippelschritt um Trippelschritt. Bis nichts mehr bleibt als der Philosoph – letzte Skrupel, Freunde? – und der Erzbösewicht unserer Tage, der was-auch-immer-Phobe.

Get Woke, Go Broke – schon bei Jesaja 48, 17-19
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Get Woke, Go Broke – schon bei Jesaja 48, 17-19

Get woke, go broke – etwa: „Komm politisch auf Linie und geh pleite!“ oder „Werd‘ zum radikalen Fortschrittler und sieh, wie Dein Leben den Bach runter geht!“ – bezeichnet nichts Neues (und läßt sich nicht nur auf Geschäftliches anwenden). Die Sache ist schon im Alten Testament zu finden, zuzüglich des Hinweises, daß dazu noch selbstverschuldete Einsamkeit als Dreingabe geliefert werde. Hier also Jesaja 48, 17-19; als guter Proporz-Denker liefere ich erst die katholische Einheitsübersetzung, dann für unsere protestantischen Freunde eine neuere Lutherübersetzung:

17 So spricht der HERR, dein Erlöser, der Heilige Israels: Ich bin der HERR, dein Gott, der dich lehrt, was Nutzen bringt, und der dich auf den Weg führt, den du gehen sollst. 18 Hättest du doch auf meine Gebote geachtet! Dein Heil wäre wie ein Strom und deine Gerechtigkeit wie die Wogen des Meeres. 19 Deine Nachkommen wären wie der Sand und die Sprösslinge deines Leibes wie seine Körner. Ihr Name wäre in meinen Augen nicht getilgt und gelöscht.

(Einheitsübersetzung)

17 So spricht der HERR, dein Erlöser, der Heilige Israels: Ich bin der HERR, dein Gott, der dich lehrt, was dir hilft, und dich leitet auf dem Wege, den du gehst. 18 O dass du auf meine Gebote gemerkt hättest, so würde dein Friede sein wie ein Wasserstrom und deine Gerechtigkeit wie Meereswellen. 19 Deine Kinder würden zahlreich sein wie Sand und deine Nachkommen wie Sandkörner. Ihr Name würde nicht ausgerottet und nicht vertilgt werden vor mir. 

(Luther)

(Bild: Pixabay.)

Neulich in Krakau
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Neulich in Krakau

Ein beliebiger Abend in der letzten Woche. Menschenmassen schieben sich durch Krakaus Altstadt, die immer mehr an eine Mischung aus Freilichtmuseum und Freizeitpark mit Alkoholausschank gemahnt. Gut, daß ich mit meiner Familie hier bin – das Eis in der alteingesessenen Konditorei am Hauptmarkt, gleich bei der Einmündung der Grodzka-Straße schmeckt großartig -, so habe ich Ruhe vor den Anquatschern und Anquatscherinnen, die, wie es scheint, alle nicht in weiblicher Begleitung durch die Stadt schlendernden Männer unter siebzig zum Besuch von Etablissements veranlassen wollen, in denen nicht nur gegessen und getrunken wird. Die seit einiger Zeit mit ungemein grellen LEDs auf der Unterseite versehenen Pferdedroschken haben Schwierigkeiten, an der Gruppe von Breakdancern vorbeizufahren, die den Gästen eines der vielen Restaurants, die Tische auf den Rynek Główny gestellt haben, zu überlautem Utz-Utz-Utz ihre Künste darbieten, ob jene wollen oder nicht. Dicht aufeinander folgende Grüppchen von Engländerinnen und Engländern, an denen ein Dalrymple seine (melancholisch gebrochene) Freude hätte, vervollständigen das Bild; es gibt inzwischen eine Reihe von Kneipen, die sich speziell auf diese Klientel ausgerichtet hat, während andere Lokale mit dem Hinweis „No Stag/Hen Parties“ die Sache im Zaum halten wollen. Ältere Deutsche tauchen auch auf; man erkennt sie daran, daß sie beigefarbene Westen tragen und die Männer mit ihrer jeweiligen Frau, die Frauen mit ihrem jeweiligen Manne so rein gar nichts zu tun zu haben scheinen.

Kurzum: es steht nicht zum Besten – oder allzu gut – um die Innenstadt von Krakau, selbst wenn handfeste Skandale wie jener selten sind, als sich im März 2019 eine Gruppe von so-gut-wie-nackten Touristen, die Englisch sprachen, in einer Droschke um den Rynek kutschieren ließ; und natürlich ließen die Herren es sich nicht nehmen, nach der Fahrt über den Hauptmarkt zu stolzieren. – Eher überkommt eine gewisse Schwermut den Metöken, der sich an das vergleichsweise stille und, bei aller Beschränkung der Mittel und mancher Bausünde um die Innenstadt herum, trotzig-elegante Krakau vor anderthalb Jahrzehnten erinnert.

Mitten in dem Getriebe steht die winzige, gut zehn Jahrhunderte alte Sankt-Adalbert-Kirche (Kościół św. Wojciecha) – auf der linken Hälfte der Postkarte, die Sie oben sehen, zwischen den Bäumen. Sie ist am Abend geöffnet. Immer wieder sehe ich, etwa zehn Meter seitlich des Eingangs zur Kirche stehend, wie Touristen in Sightseeing-Absicht die Hand an der inneren Tür haben, deren Scheiben einen Blick in das Innere des nur einige Meter breiten und langen Kirchleins erlauben, sie öffnen wollen und in der Bewegung innehalten. Selbst ihre Miene gefriert, für einen Augenblick wenigstens. Dann gehen sie, einen zutiefst verwirrten, besser noch: befremdeten, durch das Fremde berührten Eindruck machend, bis sie das Gesehene durch einige Schüttelbewegungen des Hauptes verscheuchen, entweder fort, zurück in das Getriebe. Oder ihr Leib strafft sich, und sie treten ein. Das ist der seltenere Fall.

Was geschieht in dieser Kirche? Schauen Sie auf ihre Website, die sie – natürlich – hat, denn Polen ist ein sehr modernes Land:

My, młodzi chrześcijanie, pamiętając o wielkiej historii Krakowa, nie chcemy, aby w naszym mieście propagowana była nieczystość i by nakłaniano nas do grzechu. […] [C]hcemy się razem modlić o moralną odnowę Miasta Królów Polskich. Od dwóch lat spotykamy się codziennie przed Panem Jezusem w Najświętszym Sakramencie i prosimy Go, aby uzdrowił nasze Miasto i przebywających w nim ludzi – mieszkańców i przejezdnych.

(Wir sind junge Christen, die sich der bedeutenden Geschichte Krakaus erinnern. Darum wünschen wir nicht, daß in unserer Stadt moralische Unreinlichkeit propagiert und zur Sünde veranlaßt werde. Wir wollen gemeinsam für eine moralische Erneuerung Krakaus, der Stadt der polnischen Könige, beten. Seit zwei Jahren versammeln wir uns an jedem Tag vor Christus, unserem Herrn, im Allerheiligsten Sakrament und bitten Ihn, daß er unsere Stadt und die Menschen in ihr gesunden lasse – sowohl die Einheimischen, als auch die Durchreisenden.)

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Bild: Blick über den Hauptmarkt zum Wawel (Ansichtskarte, ca. 1933) Quelle: Zbiory Specjalne, Biblioteka Naukowa PAU i PAN w Krakowie. Własność: Polska Akademia Umiejętności. Prawa autorskie: Utwór w domenie publicznej.

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Opferkult und -nutzen

Wertvoll auch dann, wenn man – wie Theodore Dalymple – Einwände gegen Ayn Rands Philosophie führen würde. Zur gerne übersehenen und deshalb besonders wichtigen Rolle freiwilliger Zuwendung von Gönnern, wo der Aufstieg von „ganz unten“ nach „ganz oben“ in Rede steht, vgl. Luigi Zingales, Who killed Horatio Alger?.

Problemsucht

Problemsucht

Vorgestern im Netz geschaut, ob es brauchbare Arbeitsblätter gibt, mit denen sich das Zusammenfassen von Sachtexten üben läßt. Der erste Vorschlag, den ich angeklickt habe, basierte auf einem Text zum Thema Internetsucht, der zweite Vorschlag bezog sich auf einen Text über Schadstoffe in Nahrungsmitteln. Den dritten Vorschlag – ertrinkende Eisbären? Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern? Mobbing in Kindertagesstätten? – habe ich nicht mehr angeklickt.