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Viva Mitteleuropa!

György Schöpflin schreibt in der Druck-Ausgabe von Tichys Einblick (8/2018, S. 22), die durchweg empfehlenswert finde, man habe in Ostmitteleuropa oder, wie er es nennt,

Mitteleuropa einen besonderen Stil des Denkens, […] eine besondere Art, Ideen und Probleme zu strukturieren. Das Erbe der aus dem 19. Jahrhundert stammenden Auffassung von Nation und Nationalismus ist eine intensive Emotionalität, die durch Ironie und Skeptizismus gemildert wird.

Das ist eine gute Einführung für unsere grünwählenden Gut- und Bessermenschen, deren Auffassung von Nation und Nationalismus von allesverzehrendem Selbsthaß geprägt ist, der durch keinerlei Ironie und Skeptizismus gemildert wird.

Wie dem auch sei; passend zum Thema „(Ost-)Mitteleuropa“ bietet Dushan Wegner einen launigen Text über Plzeň/Pilsen, Tschechien und Polen. Die intensive Emotionalität, von der oben die Rede war, zeigt sich hier – in den Kommentaren nämlich – vor allem in der Frage, woher der Braumeister stamme, welcher in Pilsen das Pilsener erfunden habe.

Natürlich enthält Wegners Essay auch eine ernstere Note – so in dem Hieb auf ein in Norddeutschland beheimatetes und kaum anders als überflüssig zu bezeichnendes Nachrichtenmagazin, es moniere, „dass das katholische Polen nicht um Menschen wirbt, deren Religion ihnen zu verbieten scheint, sich Juden oder Christen zu Freunden zu nehmen“.

23,5% meines Bekanntenkreises beiderseits der Oder/Odra dürften diese Einschätzung reichlich undifferenziert finden.

Unterdessen empfiehlt David P. Goldman (Spengler) Ungarn als eines der Länder in Europa, in dem Juden am sichersten leben können. Dazu auch das kurze Interview mit Ezra Levant.

R.R. Reno & The Uses of Corruption
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R.R. Reno & The Uses of Corruption

In der März-Ausgabe der polnischen Monatszeitschrift Znak nennt R.R. Reno, Herausgeber von First Things, ein schönes Beispiel für dasjenige, was Theodore Dalrymple (Anthony Daniels) in seinem gleichnamigen Aufsatz als The Uses of Corruption beschreibt:

Watykańska korupcja i niekompetencja są legendarne. Iluzoryczne jest jednak przekonanie, że możemy pozbyć się instytucjonalnych przywar, nie tworząc w ich miejsce innych form zła. Skuteczna biurokracja zwiększa administracyjną władzę, co oznacza, że kiepskie idee mogą być szybciej wprowadzane w życie. Proszę sobie wyobrazić, jak źle potoczyłaby się historia Kościoła, gdyby w latach 70. XX w. posoborowi, postępowi radykałowie mieli do dyspozycji niemieckich urzędników, a nie włoskich księży.

(Korruption und Inkompetenz im Vatikan sind legendär. Es ist jedoch illusorisch zu meinen, man könne sich institutioneller Laster entledigen, ohne an deren Stelle neue Übel zu schaffen. Eine effiziente Bürokratie stärkt die Regierungsmacht, was dazu führt, daß zweifelhafte Ideen desto schneller umgesetzt werden können. Stellen Sie sich bitte vor, wie schlecht die Geschichte der katholischen Kirche verlaufen wäre, wenn in den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts die radikalen Fortschrittler nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil deutsche Beamte zur Verfügung gehabt hätten – und keine italienischen Priester.)

Laß Dir nicht einreden, Du könnest nichts tun

Laß Dir nicht einreden, Du könnest nichts tun

Jeder kann sich dort, wo er ist, bewähren. Vor allem sollte er sich nichts anderes einreden lassen.

Wie Götz Aly berichtet, weigerten sich Bank- und Verwaltungsleute im unterworfenen Belgien, mit den Deutschen bei der Ausplünderung der Juden zu kooperieren:

Die belgischen Generalsekretäre der einzelnen Ministerien, die an Stelle der geflohenen Regierung ein Verwaltungskabinett bildeten, verweigerten „die Mitarbeit mit Rücksicht auf Verfassungsschwierigkeiten“. Ihre Haltung hob sich von der sonst in fast allen Ländern Europas üblichen Kollaboration deutlich ab. […] Auch zeigt sich, wie der Erfolg der deutschen Enteignungspolitik dort abnahm, wo das antisemitische Wohlwollen landeseigener Beamten und Bankangestellter ausblieb. […] So hatte der Procureur du Roi den Notaren des Landes schlicht untersagt, Verträge zu beurkunden, mit denen Liegenschaften von Juden veräußert werden sollten. Die Besatzungsgewaltigen […] zwangen den Mann zum Rücktritt. „Seine Anordnung blieb jedoch wirksam“, weil sich niemand in der belgischen Justiz bereit fand, sie zu annullieren.

Damit nicht genug. Auch die Registergerichte des Landes spielten nicht mit:

Sie weigerten sich beharrlich und bis zum Schluss, jene 6057 jüdischen Unternehmen, die von den Deutschen liquidiert worden waren, aus dem Handelsregister zu tilgen. Daraufhin sollte das belgische Justizministerium die Streichung von Amts wegen vornehmen. Auch das misslang.

Wie in anderen besetzten Ländern auch, verlangten die deutschen Machthaber, daß die belgischen Juden ihre Vermögen deklarieren. Insgesamt wurden 28.100 Vermögenserklärungen eingereicht.

Doch konnten sich viele belgische Juden der Preisgabe ihrer liquiden Mittel, Schließfächer, Konten und Aktiendepots entziehen, weil sich die Direktoren wie die Angestellten belgischer Banken nicht um die Identifizierung ihrer jüdischen Einleger kümmerten. Selbst auf den ersten Blick erkennbare Konten von Juden blieben unberührt.

So eben ist es: Jeder kann sich dort, wo er ist, bewähren. Und er sollte sich nichts anderes einreden lassen.

(Götz Aly, Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus. Durchgesehene und erweiterte Ausgabe, Frankfurt a.M. 2006, S. 230-232. Bild: John Singer Sargent, Study of a Figure for Hell, Wikimedia Commons.)

Gewissen sein vs. Gewissen haben
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Gewissen sein vs. Gewissen haben

Zu Beginn seines Dutzende wertvoller Einsichten schenkenden Buches Unser Kampf. 1968 beruft sich Götz Aly auf Odo Marquard, der meinte, weite Teile der bundesdeutschen Jugend seien 1968 aus dem Gewissen-Haben in ein Gewissen-Sein geflohen, und erläutert:

Das Gewissen-Sein bietet einen kommoden Ausweg.

Wer Gewissen ist, braucht sich nicht in dem Maße mit den Verbrechen seiner Väter und Großväter auseinandersetzen wie seine Altersgenossen, die auf dergleichen Selbstveredelung verzichten. Denn er ist ja, wenigstens für und vor sich selbst, etwas ganz anderes, geläutert und gerettet durch eigene Anstrengung oder den Segen einer revolutionären Lehre, die ihn herausreißt aus dem Elend der Väter und Großväter und durchtrennt, was ihn an die Vorfahren und deren Verfehlungen gebunden hat. So kann er belehren und bekehren – im Besitze der Wahrheit, im Vollgefühl der eigenen Güte. (Letzteres in beiderlei Sinne des Wortes.)

Es dürfte nicht fehlgehen, wer hier etwas erblickt, das in der gegenwärtigen Diskussion um die illegale Einwanderung („Flüchtlingskrise“) eine Rolle spielt. Die das Gewissen sind (oder es zu sein glauben), geben den Ton an; sie machen das leuchtende, hellere Deutschland aus. Die ein Gewissen haben, weil sie z.B. an ihre Kinder denken, die in der „neuen“ Bundesrepublik leben werden müssen, sind diejenigen, welche die Erklärung 2018 unterzeichnen.

Der Lärm und die kaum glaublichen Anwürfe gegen diese ihrem Inhalt nach schlichte und selbstverständliche Erklärung entlarven sich selbst. Freilich zeigt sich (auch) hier nichts Neues. Aly erinnert sich an 1968:

Als „Faschisten“ galten damals alle, die sich dem revolutionären Gedankengut versperrten oder gar dagegen angingen. (S. 92)

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Roger Scruton: Culture is Judgement.
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Roger Scruton: Culture is Judgement.

Roger Scruton, How to Be a Conservative, London 2015, S. 156. Die Passage lautet im Ganzen:

Reflecting on amusement and humour, and their place in our lives, you get a very clear intimation of a more general truth, about the nature and meaning of culture – namely that culture is judgement, and that judgement counts.

(Wenn Sie über Angenehm-Erheiterndes und Humor nachdenken und auch darüber, welche Rolle diese Dinge in unserem Leben spielen, erlangen Sie eine Einsicht allgemeineren Charakters über das Wesen und die Bedeutung von Kultur – daß nämlich alle Kultur Wertung sei; und daß das Bewerten entscheide.)

Master Sgt. Roddie Edmonds: „We are all Jews.“
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Master Sgt. Roddie Edmonds: „We are all Jews.“

Während der Schlacht in den Ardennen (1944/45) gefangengenommen, fand sich Master Sgt. Roddie Edmonds in einem deutschen Kriegsgefangenenlager wieder – als Dienstältester unter etwa 1200 Mann.

Und jetzt versetzen wir uns in ihn hinein. Stellen Sie sich vor, unter Ihren Soldaten sind rund zweihundert Juden. Stellen Sie sich vor, wie ein deutscher Offizier auf Sie zukommt und verlangt, daß Ihre jüdischen Kameraden heraustreten sollen. Was antworten Sie?

Klicken Sie hier, um zu dem knapp viertelstündigen Film zu gelangen. Weitere Informationen bei Yad Vashem.

Ungleiche Revolutionen

Ungleiche Revolutionen

Wie das Lehrbuch Europa. Unsere Geschichte 2 die amerikanische Revolution im Vergleich zur französischen Revolution behandelt, taugt zum Lehrstück in Sachen Selbst- und Fremdtäuschung. Die Frage, ob und in welchem Maße die Vernebelung intendiert sei, muß uns dabei nicht interessieren: die Seele ist ein Haus mit verquirlten Gängen und Kammern.

Kein Geringerer als Karl Popper bedauerte die seltsam einseitige Behandlung der Revolutionen in Frankreich und Amerika:

Ich finde es tragisch, daß Europa fast immer nur dem mißlungenen Beispiel der Französischen Revolution […] Beachtung geschenkt hat, während das großartige Beispiel der Amerikanischen Revolution – zumindest im Schulunterricht – kaum zur Kenntnis genommen und fast immer mißverstanden wird. Denn Amerika hat den Beweis geliefert, daß die Idee der persönlichen Freiheit […] kein utopischer Traum ist. Das amerikanische Beispiel hat gezeigt, daß eine Regierungsform der Freiheit nicht nur möglich ist, sondern die größten Schwierigkeiten überwinden kann; eine Regierungsform, die vor allem darauf gegründet ist, die Despotie zu vermeiden – nicht zuletzt auch die Despotie der Majorität des Volkes – durch eine Teilung und Verteilung der Macht und durch gegenseitige Kontrolle geteilten Mächte. (Alles Leben ist Problemlösen, München u. Zürich 1994, S. 279)

Dies ist die beklagenswerte Tradition, in die sich das höchstoffizielle, da – ich zitiere den Fuß der inneren Titelseite – „von der Gemeinsamen Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission mit dem Georg-Eckert-Institut – Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung Braunschweig und dem Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften“ herausgegebene Lehrwerk für den Gebrauch an Schulen einschreibt.

Das Elend beginnt bereits mit der Zeichensetzung in den Überschriften. Das Kapitel zur amerikanischen Revolution trägt ein warnend-kritisches Fragezeichen: „Der Krieg um die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten von Amerika – ein Kampf um Freiheit und Gleichheit?“ Sein Gegenstück zur französischen Revolution zeigt sich gewisser: „Von der Ständegesellschaft zur Nation gleichberechtigter Bürger“ – ohne Fragezeichen, wiewohl einzuwenden wäre, daß jene idealiter gleichberechtigten Bürger irgendwo auf dem beschriebenen Wege zu Tausenden erschossen, erschlagen, ertränkt oder guillotiniert worden seien, es also mit der Gleichberechtigung so großartig nicht bestellt gewesen sein könnte.

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Antikriegssentiment

Papst Franziskus ließ neuerdings eine Photographie verteilen, auf der ein japanischer Junge nach dem Abwurf der Atombombe auf Nagasaki zu sehen ist. Er trägt seinen toten kleinen Bruder auf dem Rücken:

Die Lippen des vielleicht fünfjährigen Jungen sind blutig gebissen. Er steht starr am Rand eines Feldes, auf dem die Toten verbrannt werden. Er wartet darauf, bis er an der Reihe ist, um seinen toten kleinen Bruder dort abzulegen.

So Vatican News. Auf der Rückseite befindet sich der Kommentar „…il frutto della guerra“ (die Frucht/das Ergebnis des Krieges) und einige Angaben über das Bild.

Zum Anlaß – oder einem der Anlässe – des Tuns von Jorge M. Bergoglio gereichen offenbar die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel. Doch der Blick des Papstes reicht weiter:

The gesture is consistent with Francis’s effort since his election to speak out against what he describes as a “Third World War” today, being fought in piecemeal fashion in various parts of the world.

(Diese Geste stimmt mit Franziskus‘ Handeln seit seinem Amtsantritt überein, nämlich dem Eintreten gegen etwas, das er als „Dritten Weltkrieg“ bezeichnet, geführt in Bruchstücken und kleinen Schritten in den verschiedensten Weltgegenden.)

Schön und gut. Niemand, den ich kenne, findet Krieg per se anstrebenswert. Niemand, den ich kenne, wünscht sich einen Atomkrieg herbei. Wozu also das Ganze?

„Aufklärung“ kann kaum gemeint sein. Bei solchen Angelegenheiten noch aufklären zu wollen, trüge die Eulen gleich sattelzugweise nach Athen. Denn es gibt keinen Mangel an Photographien, auf denen kindliche oder jugendliche Opfer von Kriegen zu sehen sind, und viele dieser Bilder sind bekannt oder sogar berühmt.

Zum Beispiel dieses hier aus den Tagen des deutschen Angriffs auf Polen:

Wenn es keine Aufklärung ist, was ist es dann?

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