Problemsucht

Problemsucht

Vorgestern im Netz geschaut, ob es brauchbare Arbeitsblätter gibt, mit denen sich das Zusammenfassen von Sachtexten üben läßt. Der erste Vorschlag, den ich angeklickt habe, basierte auf einem Text zum Thema Internetsucht, der zweite Vorschlag bezog sich auf einen Text über Schadstoffe in Nahrungsmitteln. Den dritten Vorschlag – ertrinkende Eisbären? Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern? Mobbing in Kindertagesstätten? – habe ich nicht mehr angeklickt.

Unsere Schuld

Es ist alles unsere Schuld. Denn wir haben die Krawatte weggelassen. Offene Hemden finden wir bequemer. Dann haben wir begonnen, nicht mehr „Guten Tag“ zu sagen, sondern „Tag auch“.

Alles unsere Schuld. Denn nach den Krawatten sind die Anzüge verschwunden. Chinos und Sakko geht ja auch. Und die Chinos kann man selber waschen. Das finden wir bequemer, wie es ja auch reicht, „Hi“ oder „Hallo“ zu sagen. Schließlich sind wir alle gleich. Dann haben wir unterlassen, unser Latein und Griechisch zu pflegen. Die Übersetzungen sind okay. Das paßt schon. Einer Dame in den Mantel helfen? Überholt.

Alles unsere Schuld. Denn nach den Anzügen sind die Sakkos im Schrank geblieben. Wozu so förmlich? Das ist bequemer. Dann haben wir begonnen, statt der Klassiker über die Klassiker zu lesen. Das geht schneller. Die Kenner teilen uns das Wesentliche mit, und wir sind hinreichend orientiert. Unsere Frau oder Freundin kann sich die Beifahrertür selber öffnen. Und der Sonntagmorgen ist zum Ausschlafen da.

Unsere Schuld. Denn inzwischen sind sommers die langen Hosen verschwunden; kurze tun’s auch. Wozu sich quälen? Hat doch keinen Sinn! Oder doch? Denn vor einiger Zeit haben wir uns zu wundern bekommen, weshalb unsere und andere Kinder aufwachsen, als hätten sie keine Vorbilder um und vor sich. Kommt die Rede auf Johann Sebastian Bach, Andrea Palladio oder Thomas Mann, ja selbst auf’s Rasenmähen, gähnt uns blasierte Faulheit entgegen.

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Confidence

Einer der besseren Right Angles (ehemals Trifecta) über die Frage, weshalb die USA den nächsten Großkonflikt nicht verlieren werden. Selbstvertrauen und Dankbarkeit zu rechten Anteilen gemischt – ein Genuß. Und die Euroweenies unter uns, sie sollten sich zu Gemüte führen, was Stephen Green – oder Esteban Verde – (ab 3′ 35“) über Spielsüchtige zu sagen hat: jene seien, so Green, vernarrt in das Gefühl des Verlierens.

Berlin als Unwille und Verstellung

Berlin als Unwille und Verstellung

Kürzlich mit einem Bekannten über Berlin als Stadt geplaudert, der wir vor Jahren entflohen sind. Sofort reproduzierten unsere Hirnschaltungen den unverwechselbaren Geruch der Berliner U-Bahn-Schächte und -Wagen, ein olfaktorisches Souvenir, auf das zivilisierte Menschen durchaus verzichten können. Die S-Bahn roch (damals) nicht viel besser, aber anders, zuweilen kurios ins Ranzige spielend.

Wie dem auch sei; Berlin war etwas, durch das man durch mußte – ganz so, wie es der Schweizer Benedict Neff in der NZZ beschreibt:

Generell bin ich in Berlin robuster geworden. Ich vermute, dass ich in den vergangenen drei Jahren in öffentlichen Verkehrsmitteln mehr Rippenstösse und Tritte auf die Füsse bekommen habe als in meinem gesamten Leben zuvor. An ungehobeltes Verhalten und eine gewisse Rauheit im öffentlichen Umgang muss man sich gewöhnen. Wenn ich in meinen Anfängen hier Reklamationen geäussert habe, wurden diese oft nicht verstanden oder sogar als etwas umständlich vorgetragene Komplimente interpretiert. In Berlin muss man sagen, was man will; das funktioniert mit «hätte gern», «ein bisschen» und «vielleicht» eher schlecht. Diese Phänomene haben vor allem mit Berlin zu tun, während sich die Sitten in anderen Landesteilen verfeinert haben und auch eine andere Geschäftigkeit herrscht. 

Dieses Ruppige, das natürlich auch mein Bekannter und ich beobachtet (oder besser: durchwatet) haben, entspringt, fürchte ich im Rückblick, weniger einer herzhaft-tappigen Menschenliebe, die sich um Konventionen wenig schert, als einer Disposition, die sich als geistige Ungewaschenheit bezeichnen ließe: Es war zu vielen Leuten zu viel egal, die gerade deshalb zu sehr von sich eingenommen waren.

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„Du wirst nicht erst Mutter, du bist schon eine.“

Schöner Artikel auf dem Blog „Nolite Timere“: 

Es ist dein Kind. Es ist auf dich angewiesen. Du wirst nicht erst Mutter, du bist schon eine. […]

Von dir wird nicht verlangt, dich „für dein Kind zu entscheiden“. Von dir wird verlangt, dich nicht dafür zu entscheiden, dein Kind zu töten. Was du nach seiner Geburt machst – ob du es behältst oder zur Adoption freigibst (auch das ist möglich), welche Beziehung du weiterhin zu seinem Vater hast, ob du bald wieder arbeiten gehst oder erst einmal zu Hause bleibst – das alles musst du selber entscheiden, wie es für dich am besten ist. Aber es ist nicht in Ordnung, zu einem Arzt zu gehen, der einen Schlauch in deine Gebärmutter einführen soll, um dein Kind durch Saugluft in Stücke zu reißen und seine einzelnen Gliedmaßen herauszusaugen. So sieht eine Abtreibung im ersten Trimester aus. 

Es lohnt, den ganzen Text zu lesen.  (Sie werden auf dem Blog dort manches finden, dem Sie nicht zustimmen wollen oder können. Das eben ist die Vielfalt, derer wir, wie immer wieder unterstrichen wird, so dringend bedürfen.)