G. K. Chesterton über Rudyard Kipling
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G. K. Chesterton über Rudyard Kipling

Es mag nicht schaden, aus Gilbert K. Chestertons Buch Heretics eine kaum anders als gewaltig zu nennende Stelle über Rudyard Kipling anzuführen, die – und was – natürlich nicht bloß mit Kipling zu tun hat:

He is a perfect master of that light melancholy with which a man looks back on having been the citizen of many communities, of that light melancholy with which a man looks back on having been the lover of many women. He is the philanderer of the nations. But a man may have learnt much about women in flirtations, and still be ignorant of first love; a man may have known as many lands as Ulysses, and still be ignorant of patriotism.

(Er ist ein vollendeter Meister jener gelinden Schwermut, mit der ein Mann darauf zurückblickt, Bürger vieler Gemeinwesen gewesen zu sein, jener gelinden Schwermut, mit der ein Mann darauf zurückblickt, der Liebhaber vieler Frauen gewesen zu sein. Er ist ein Schürzenjäger, was Völker und Länder angeht. Aber ein Mann kann viel über Frauen gelernt haben, während er mit ihnen Affären hatte, und trotzdem keine wirkliche, erste Liebe erlebt haben; ein Mann kann so viele Länder kennen wie Odysseus, und dennoch nicht wissen, was Patriotismus ausmacht.)

Manche „Anywheres“ fürchten sich, ein „Somewhere“ zu werden. Chesterton meint, ihnen fehle etwas – ein bindender Entschluß, vielleicht auch dasjenige, was zuweilen mit dem grauenhaft mißbrauchten Wort „Offenheit“ bezeichnet zu werden pflegt, die Bereitschaft nämlich, sich von seiner eigenen Zuneigung überwältigen zu lassen.

(Zitiert nach einer online verfügbaren Ausgabe des 1905 erschienen Werks. Die Passage findet sich in Kap. 3: On Mr Rudard Kipling and Making the World Small. Beitragsbild: Stockholm, Altstadt, Pixabay.)

„Der gute und der böse Neid“ – über Helmut Schoeck.
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„Der gute und der böse Neid“ – über Helmut Schoeck.

Junge Freiheit Nr. 40/23

Herr Professor Dahlmanns, ist Ihnen da ein Fehler unterlaufen?
Karsten Dahlmanns: Inwiefern?

Der Titel Ihres Buchs lautet: „Vom besonderen Unglück tüchtigerer Minderheiten“. Sicher soll das aber doch „Glück“ heißen?
Dahlmanns: Nein, denn alles hat seinen Preis, also auch der glückliche Umstand, ein besonderes Talent zu besitzen, außergewöhnlich attraktiv zu sein oder sorgsame, wohlsituierte Eltern zu haben. Da läßt der Neid der weniger von Fortuna Bedachten nicht lange auf sich warten.

Ich spüre in der Tat die Eifersucht schon brodeln …
Dahlmanns: Und wie gehen Sie damit um?

Manche treten ihren Hund … Ich natürlich nicht!
Dahlmanns: Meist äußert sich Neid in eher harmlosen Formen, etwa in despektierlichen Beschreibungen, unterfüttert mit einer Art Küchenpsychologie.

Zum Beispiel?
Dahlmanns: Der virtuose Programmierer wird zum „Nerd“, Gutaussehende firmieren unter „Beau“ oder „Prinzeßchen“ und verfügen angeblich über einen bestenfalls oberflächlichen Charakter, und Kinder aus gutem Hause, die sich benehmen können, werden dafür bedauert, keine richtigen Kinder sein zu dürfen. Der Publizist Rainer Zitelmann weist darauf hin, daß wirtschaftlich Erfolgreiche gern als gefühlskalt, rechen- und automatenhaft beschrieben werden: Wer reich ist, der „muß“ zum Ausgleich ein emotionales Defizit aufweisen.

„Hilf dir selbst, so hilft dir Gott“, „Das Glück ist mit den Tüchtigen“, „Dem Tüchtigen gehört die Welt“ Wenn tüchtig zu sein ein Unglück ist, führen uns dann diese Volksweisheiten seit Jahrhunderten in die Irre?
Dahlmanns: Nein, sie liegen schon richtig. Ihr Gegenstand taucht bereits in einem Gleichnis Jesu auf: Wer ein Talent erhält und es vergräbt – also nichts daraus macht –, kann auf Gnade nicht hoffen. Bemerkenswert ist, daß diese Volksweisheiten eine Ermunterung darstellen. Warum aber ist eine solche Ermunterung überhaupt nötig? Wohl deshalb, weil der Begabte einen Anstoß braucht, sein Glück trotz der im Falle eines Mißerfolgs zu erwartenden Häme seiner Nachbarn, Mitschüler, Kollegen zu erproben.

Aber ist Neid nicht eigentlich ein Problem des Neiders?
Dahlmanns: Wäre er ausschließlich das Problem des Neiders, lebten wir in einer anderen Welt. Der 1993 verstorbene Soziologe Helmut Schoeck nennt eine Fülle Beispiele aus aller Herren Länder, die zeigen, wie gefährlich es werden kann, wenn man beneidet wird – bis hin zum Mord aus Neid: Ein, wie Schoeck formuliert, „unansehnlicher Gelegenheitsarbeiter“ tötete einen jungen Mann, weil er „den Glanz des erfolgreichen Sportlers nicht ertragen“ konnte, oder ein begabter Musikstudent ermordete einen noch begabteren Musikstudenten. Der in Deutschland viel zu wenig bekannte US-Soziologe Thomas Sowell ergänzt Schoecks Forschung um weitere Beispiele aus Asien, Afrika und Lateinamerika: Wo auch immer eine Minderheit in irgendeiner Form tüchtiger ist, etwa mehr Universitätsabschlüsse erwirbt oder besser verdient als die umgebende Mehrheit, drohen ihr Übel. Dies gilt besonders dann, wenn sie sich äußerlich unterscheidet, wie etwa die meisten ethnischen Chinesen in Indonesien oder indische Händler im Osten Afrikas. Erstere hatten Pogrome zu erleiden, letztere wurden aus vielen in die Unabhängigkeit entlassenen Staaten vertrieben, mitsamt ihrem Know-how. Im Peru des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts bildeten japanische Immigranten eine tüchtigere Minderheit hinsichtlich Bildung und Geschäftstätigkeit, ja selbst bei bloßer Land- und Lohnarbeit; es gab Pressekampagnen gegen sie, Boykottversuche und schließlich ein Gesetz, das die Einwanderung von Japanern gründlich einschränkte. Und honduranische Bauern klagten, es sei „unfair“, mit allzu arbeitsamen Immigranten aus Deutschland konkurrieren zu müssen. Die Beispiele zeigen, wie Sowell Schoecks Ansatz fortführt, ohne – versteht sich –, von ihm abhängig zu sein. Da von Minderheiten die Rede ist: Die kleinste Minderheit bildet, mit der libertären Autorin Ayn Rand zu sprechen, das begabte Individuum. Schoeck legt seinen Finger immer wieder auf eine besondere Wunde: die Entmutigung des begabten oder sonstwie besser situierten Einzelnen durch unterschwellige oder auch gröbere Gemeinheiten einer neiderfüllten Umgebung.

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Rückblick auf die PiS

Rückblick auf die PiS

Meinen Artikel über die Wahlen in Polen, besonders die „linke“ Sozialpolitik der PiS-Regierung, finden Sie hier auf den Seiten der Jüdischen Rundschau.

(Bild: Kreuzung in Warschau. John Nzoka, Unsplash.)

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Ein erstaunlicher Bericht über Tammy Petersons Gebrauch des Rosenkranzes

Tammy Peterson, die Gemahlin von Jordan Peterson, wurde während ihrer schweren und aller Wahrscheinlichkeit nach tödlichen Krebserkrankung von einer Freundin mit einem Rosenkranz beschenkt und in die Praxis des Rosenkranz-Gebets eingeführt. Alles Weitere finden Sie hier; nützlich auch für eingefleischte Zyniker, sofern die Bereitschaft vorausgesetzt werden darf, genau zuzuhören.

Vor der Rückkehr (Stefan George: An Kallimachus)

Vor der Rückkehr (Stefan George: An Kallimachus)

Als deine treusten geleiter stehen wir im hafen ·
Zu des gerüsteten schiffes brüstung schauen wir
Trennungbeklommen dich teuren · unserm arm entrissen ·
Lang schon der unsre geworden ob auch fremden bluts.
Willst du den leuchtenden himmel · heitrer bildung wohnsitz ·
Wieder vertauschen mit küsten nebelgrau und kühl
Fern bei den äussersten menschen? schlichte rohe sitte
Wieder erlernen der heimat die dir’s kaum mehr ist?
Dort müssen schrecklich und einsam deine tage fliessen ·
Freund unsrer frohen gelage · unsrer lehrer gast!
Dessen gesang der verwöhnten Phillis ohr gefallen ·
Der in geglätteten sprüchen es uns gleichgetan ·
Wirst du ein leben ertragen am barbarenhofe ·
Finstren gesetzen dich beugen · strengem herrscherwink ·
Zögling der losesten freiheit? uns erfasst die sorge.
Ruder und anker bewegt sich – o Kallimachus!
Schäumendes wasser beschwichtigt lezte segenrufe ·
Unser verhaltenes weinen mög es töricht sein.

Mehr Abschied (mit oder ohne Schiff) hier und hier.

(Stefan George, An Kallimachus, aus dem Band Die Bücher der Hirten- und Preisgedichte, der Sagen und Sänge und der Hängenden Gärten, zitiert nach Zeno.org (gemeinfrei) und überprüft an der von Robert Boehringer herausgegebenen Jubiläumsausgabe in zwei Bänden, Bd. 1, S. 76-77. Beitragsbild: Zeichnung von Abraham Casembroot (geb. vor 1593, gest. 1658), Wikimedia Commons, gemeinfrei.)

„Leistungsloses“ Erbe?

Dushan Wegner über getwitterte Einlassungen unseres Gesundheitsministers Karl Lauterbach, bei einem Erbe handle es sich um „leistungsloses“ Einkommen:

Wer in Deutschland alleinstehend ist und aus Freude an der Leistung gearbeitet hat, der wird demotiviert und quasi wie ein Staatsfeind behandelt – die Auswanderung der Hochqualifizierten geht leider weiter.

Wer aber (bereits) Familienmensch ist und seinen Kindern etwas weitergeben möchte, dem wird nicht nur jeder Schritt Maximal schwer gemacht. Wenn er eines Tages das Erarbeitete den Kindern weitergeben will, will der gierige Staat ihm seine Lebensleistung wieder wegnehmen.

Gut auf den Punkt gebracht – hier.

„Kontrovers“

„Kontrovers“

Wann eigentlich wurde das Wort „kontrovers“ zu einer Unterstellung von Schimpf und Schande? Ist unser Geist so schwachbrüstig, daß wir uns vor Kontroversem – und Kontroversen – fürchten? Läßt sich denn überhaupt etwas Interessantes äußern, ohne zur gleichen Zeit Kontroverses zu berühren? Und gereicht die Vorstellung einer Welt ohne Kontroverses – und Kontroversen – nicht zur Schreckensvision eines Daseins, in dem blasierte Langeweile herrscht, einem gepflegten Käfig gleich, in dem wir als gepuderte (und durchgeimpfte) Ziermäuse vorsichtig und gemächlich in unserem Laufrädchen vor uns hin stolzieren, nachdem man uns alle Zähne gezogen hat, versteht sich, damit wir einander nicht verletzen?

(Bild: Leonardo da Vinci, Ginevra de‘ Benci, etwa 1474/1478. National Gallery of Art (USA), gemeinfrei.)