Börries, Freiherr von Münchhausen
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Börries, Freiherr von Münchhausen

Denn aller Wandrung Schicksal heißt:
Wer Heimat sucht, kommt niemals an,
Und wenn er müd nach Hause reist,
Ist er daheim ein fremder Mann!

Börries, Freiherr von Münchhausen, Der Auswanderer, letzte Strophe (1919). Das Gedicht gliedert sich in „Klage“ (vier Strophen) und „Antwort“ (sechs Strophen). Zitiert nach der Ausgabe letzter Hand, Das dichterische Werk in zwei Bänden, Bd. 1: Das Balladenbuch, Stuttgart 1959, S. 242-243, hier S. 243.

(Bild: Pixabay.)

Knappheit als Übersetzungsproblem

Eine besondere Herausforderung für den Übersetzer sind knappe, gleichsam eingedampfte Passagen des Originals. Wer aus dem Slawischen ins Deutsche übersetzt, hat damit doppelt zu kämpfen, weil das Slawische (zumeist) knapper als das Deutsche wirkt: schon der mangelnden Artikel wegen.

Schauen wir auf dieses Gedicht des in Krakau wirkenden Priesters Wojciech Węgrzyniak aus dem Jahr 2016:

Spowiedź niewolnika

musiałem ściągać na sprawdzianach
musiałem mieszkać przed ślubem
musiałem podkradać z pracy
musiałem współpracować
musiałem oszukiwać
musiałem siedzieć cicho
musiałem komentować
 
słyszą to męczennicy
nie osądzają święci
tylko Bóg zatroskany pyta
a byłeś chociaż raz wolny?

Das ist, mehr oder weniger:

Beichte eines Sklaven

ich mußte bei den Klausuren spicken
ich mußte vor der Trauung mit meiner Freundin zusammenwohnen
ich mußte auf der Arbeit Dinge mitgehen lassen
ich mußte mit der Geheimpolizei zusammenarbeiten
ich mußte betrügen
ich mußte den Mund halten
ich mußte mir das Maul zerreißen

das hören die Märtyrer
die Heiligen verurteilen es nicht
nur Gott fragt voller Sorge
warst du denn nicht ein einziges Mal frei?

Gut verständlich, nicht wahr? Aber doch zu lang im Vergleich zum Original! Wenn wir die „ich mußte“-Verse ohne erläuternde Einfügungen übersetzen, erhalten wir:

ich mußte bei den Klausuren spicken
ich mußte vor der Trauung wohnen
ich mußte auf der Arbeit Dinge mitgehen lassen
ich mußte zusammenarbeiten
[…]

Der zweite und der vierte Vers sind nicht mehr verständlich. Die Ergänzungen sind also notwendig. Aber sie zerstören das Lakonische des Originals.

Außerdem: Wo mit den Ergänzungen aufhören? Sollte man nicht auch den Titel ergänzen: „Beichte eines Sklavens seiner Sünden“. Darauf will es ja hinaus. Aber das wäre eindeutig zu viel des Schlechten; eine Art Paternalismus dem Leser gegenüber, unstatthaft.

Ein weiteres Problem stellen festgefügte Wendungen dar:

ich mußte auf der Arbeit Dinge mitgehen lassen
[…]
ich mußte den Mund halten
ich mußte mir das Maul zerreißen

Der vorletzte dieser Verse lautet, wortwörtlich übersetzt: „ich mußte still dasitzen“ oder „ich mußte schweigend sitzen“. Das freilich gibt den Sinn des Verses kaum wieder, den „siedzieć cicho“ beschreibt nicht zuletzt etwas wie das folgende Szenario: XY sitzt in der-und-der Versammlung, würde gern etwas zu der-und-der Frage bemerken, fürchtet aber, dafür auf den Deckel zu bekommen, und zieht es deshalb vor, den Mund zu halten.

Darf man derart in den Idiom-Vorrat der Zielsprache greifen? Wo bleibt das Original? Oder spiegelt gerade dies das Original?

Und sollte man dann auch noch, nach einem solchen Eingriff, das wiederum lakonische, aber zusammen mit dem „musiałem“ („ich mußte“) doch auch etwas beißende „komentować“ („kommentieren“) übersetzen – oder ersetzen – durch die feststehende Wendung „sich das Maul zerreißen“?

Zum kulturellen Hintergrund von Herberts „Krasnoludki“

Zum kulturellen Hintergrund von Herberts „Krasnoludki“

Wie der überaus interessante Blog „Lamus Dworski“ (in englischer Sprache) unterrichtet, war es in Polen üblich, Bauernhäuser mit Kräutern und anderen Pflanzen gegen Dämonen und – natürlich – den bösen Blick neidischer Nachbarn oder Passanten zu schützen. Und da wurden dann eben auch, in der Gegend um Warschau wenigstens, ganz wie die Krasnoludki (Zwerge) Zbigniew Herberts, Brennesseln über die Eingangstür gehängt, um Ruhe vor dies- und jenseitigen Bösewichtern zu haben. – Ein Überbleibsel aus der Zeit vor der Christianisierung Polens.

Ah, und falls Sie fragen: die Bezeichnung „Lamus dworski“ meint eine Art Wirtschaftsgebäude auf ländlichen Anwesen des Adels, in dem wertvolle Dokumente und Güter verwahrt wurden.

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Da in den Wäldern (silvae)…

…Peter Rühmkorfs „Über das Volksvermögen“ erwähnt wird, erinnere ich mich plötzlich, wie an der Georgia Augusta eine Lehrveranstaltung für Erstsemester, deren Teilnehmer verschreckt und stocksteif darauf bedacht waren, sich nur ja keine Blöße zu geben, durch eine junge Frau ländlicher Anmutung, die noch vor wenigen Wochen eine Schulbank in, sagen wir, Winsen an der Luhe gedrückt haben mochte, gerettet – ja: gerettet – wurde; die Gute nämlich nahm, während sie ein vernichtend langweiliges Referat über Rühmkorf zu ertragen verurteilt war, den herumgehenden Band „Über das Volksvermögen“ in die Hand, öffnete ihn an beliebiger Stelle und begann, in den dort gesammelten und durchaus saftig-defitigen Reimereien der sogenannt einfachen Leute zu lesen. (Die ‚einfachen‘ Leute sind nur selten einfach, aber das nur am Rande.) Wie dem auch sei; die Zoten taten das Ihre, und die sympathische Studentin begann hemmungs-, aber auch lautlos – sie wollte ja nicht stören – zu lachen, schlug eine Seite um, prustete annähernd stumm – eine Meisterleistung der Körperbeherrschung – los, um auch dasjenige, was ihrer dort harrte, angemessen zu rezipieren. Ihr Antlitz bekam die Farbe eines reifen Pfirsichs; ihre hellen Augen füllten Lachtränen, ihr Körper vibrierte unter dem Versuch, sich zu beherrschen. Schließlich übertrug sich ihre Freude auf uns, wiewohl wir einige Zeit kopfschüttelnd für naiv oder sonstwie unangemessen gehalten hatten (vielleicht auch nur unsicher gewesen waren), was sie – oder was sich mit ihr – tat; und selbst der melancholische Dozent vergaß, woran er gelitten hatte. Er strahlte sie und uns an.

Das also war sie, die Wirkung der Literatur.

Zbigniew Herbert: Krasnoludki (deutsch)

Zbigniew Herbert: Krasnoludki (deutsch)

Kra­sno­lud­ki ro­sną w le­sie. Mają spe­cy­ficz­ny za­pach i 
bia­łe bro­dy. Wy­stę­pu­ją po­je­dyn­czo. Gdy­by się dało ze­brać 
ich garść, usu­szyć i po­wie­sić nad drzwia­mi – może mie­li­by­śmy spo­kój.

Das ist: Zwerge kommen im Wald vor. Sie haben einen besonderen Geruch und weiße Bärte. Sie sind Einzelgänger. Gelänge es, eine Handvoll von ihnen zu fangen, sie zu trocknen und über der Eingangstür aufzuhängen, hätten wir womöglich Ruhe.

Konstanty Ildefons Gałczyński: Rozmowa liryczna (in deutscher Übersetzung)
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Konstanty Ildefons Gałczyński: Rozmowa liryczna (in deutscher Übersetzung)

– Powiedz mi, jak mnie kochasz.
– Powiem.
– Więc?
– Kocham cie w słońcu. I przy blasku świec.
Kocham cię w kapeluszu i w berecie.
W wielkim wietrze na szosie, i na koncercie.
W bzach i w brzozach, i w malinach, i w klonach.
I gdy śpisz. I gdy pracujesz skupiona.
I gdy jajko roztłukujesz ładnie
nawet wtedy, gdy ci łyżka spadnie.
W taksówce. I w samochodzie. Bez wyjątku.
I na końcu ulicy. I na początku.
I gdy włosy grzebieniem rozdzielisz.
W niebezpieczeństwie. I na karuzeli.
W morzu. W górach. W kaloszach. I boso.
Dzisiaj. Wczoraj. I jutro. Dniem i nocą.
I wiosną, kiedy jaskółka przylata.
– A latem jak mnie kochasz?
– Jak treść lata.
– A jesienią, gdy chmurki i humorki?
– Nawet wtedy, gdy gubisz parasolki.
– A gdy zima posrebrzy ramy okien?
– Zimą kocham cię jak wesoły ogień.
Blisko przy twoim sercu. Koło niego.
A za oknami śnieg. Wrony na śniegu.

*

„Sag mir, wie Du mich liebst.“
„Werd’ ich.“
„Also?“
„Ich liebe Dich in der Sonne. Und im Licht der Kerzen.
Ich liebe Dich im Hut und in der Baskenmütze;
Im starken Wind auf der Straße und im Konzertsaal,
In Fliedern und unter Birken, in Himbeersträuchern und unter Ahornbäumen.
Und wenn Du schläfst. Und wenn Du konzentriert arbeitest.
Und wenn Du Dein Frühstücksei so schön aufschlägst
Sogar dann, wenn Dir der Löffel herunterfällt.
Im Taxi. Und im Auto. Ohne Ausnahme.
Und am Anfang der Straße. Und an deren Ende.
Und wenn Du Deine Haare mit dem Kamm teilst.
In der Gefahr. Und auf dem Karussell.
Im Meer. In den Bergen. In Pantoffeln. Und barfuß.
Heute. Gestern. Und morgen. Tags und in der Nacht.
Und im Frühling, wenn die Schwalben kommen.“
„Und sommers, wie liebst Du mich da?“
„Wie das Wesen des Sommers.“
„Und im Herbst, wenn es Schauer und Launen gibt?“
„Sogar dann, wenn Du den Schirm verbaselst.“
„Und wenn der Winter die Fensterrahmen silbern überzieht?“
„Im Winter liebe ich Dich wie ein lustiges Feuerchen.
Ganz nah an Deinem Herzen. Bei ihm.
Und draußen vor den Fenstern Schnee, Krähen auf ihm.“

***

Nach: Anna Rajca, Jerzy Polanicki, Poezja polska od średniowiecza do współczesności, Warszawa 2001, S. 447.

Jan Twardowski: Do kaznodziei
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Jan Twardowski: Do kaznodziei

Jan Twardowskis „Do kaznodziei“ (An einen Prediger) gefällt mir außerordentlich gut. Besonders diese Stelle:

Mów o częstej komunii z Chrystusem
złotych sercach bijących w ukryciu,
z katechizmu o cnotach najprościej,
i że grzechy przeciwko nadziei
są tak ciężkie jak przeciw miłości

Nie o śmierci mów z ambony o życiu
O żonie szukającej z lampą w ręku
igły zagubionej w ciemny wieczór,
żeby mąż nie miał skarpet podartych-
wczesnej wiosny na piętach nie czuł

Das ist: „Sprich über die häufige Kommunion mit Christus / über Herzen von Gold, die im Verborgenen schlagen / über die Tugenden aus dem Katechismus so einfach wie möglich / und darüber, daß Sünden gegen die Hoffnung / so schwer wiegen wie solche gegen die Liebe // Nicht über den Tod sprich von der Kanzel, sondern über das Leben / Über die Frau, die mit der Lampe in der Hand / am dunklen Abend die verschwundene Nadel sucht / damit ihr Gemahl keinen löchrigen Strumpf habe / die Kälte des Vorfrühlings nicht an der Ferse fühle“

Können wir uns ein schöneres Bild denken selbstverständlicher, verläßlicher und tiefer ehelicher Liebe?

Soviel zu Thanksgiving 2015.