G. K. Chesterton über Rudyard Kipling
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G. K. Chesterton über Rudyard Kipling

Es mag nicht schaden, aus Gilbert K. Chestertons Buch Heretics eine kaum anders als gewaltig zu nennende Stelle über Rudyard Kipling anzuführen, die – und was – natürlich nicht bloß mit Kipling zu tun hat:

He is a perfect master of that light melancholy with which a man looks back on having been the citizen of many communities, of that light melancholy with which a man looks back on having been the lover of many women. He is the philanderer of the nations. But a man may have learnt much about women in flirtations, and still be ignorant of first love; a man may have known as many lands as Ulysses, and still be ignorant of patriotism.

(Er ist ein vollendeter Meister jener gelinden Schwermut, mit der ein Mann darauf zurückblickt, Bürger vieler Gemeinwesen gewesen zu sein, jener gelinden Schwermut, mit der ein Mann darauf zurückblickt, der Liebhaber vieler Frauen gewesen zu sein. Er ist ein Schürzenjäger, was Völker und Länder angeht. Aber ein Mann kann viel über Frauen gelernt haben, während er mit ihnen Affären hatte, und trotzdem keine wirkliche, erste Liebe erlebt haben; ein Mann kann so viele Länder kennen wie Odysseus, und dennoch nicht wissen, was Patriotismus ausmacht.)

Manche „Anywheres“ fürchten sich, ein „Somewhere“ zu werden. Chesterton meint, ihnen fehle etwas – ein bindender Entschluß, vielleicht auch dasjenige, was zuweilen mit dem grauenhaft mißbrauchten Wort „Offenheit“ bezeichnet zu werden pflegt, die Bereitschaft nämlich, sich von seiner eigenen Zuneigung überwältigen zu lassen.

(Zitiert nach einer online verfügbaren Ausgabe des 1905 erschienen Werks. Die Passage findet sich in Kap. 3: On Mr Rudard Kipling and Making the World Small. Beitragsbild: Stockholm, Altstadt, Pixabay.)

Worte, Worte, Worte

Worte, Worte, Worte

Die posttraditionelle Gesellschaft (ge)braucht neue Ausdrucksformen. Das zeigt sich am Verschwinden christlicher Motive und Losungen auf deutschsprachigen Beileidskarten. Wasserumflossene Steine, Nebelschwaden im Nadelwald ersetzen das Kreuz; wattig-unverbindliche Sprüche, Gandhi- oder Schweitzer-Zitate die Christusworte. Selbst der Valentinstag wird modernisiert. In einem Prospekt mit Fertigsträußen, das mir in die Hand fällt, ist nicht mehr von „Ihrer Frau“ oder „Ihrer Verlobten“ die Rede, sondern bindungstyp- und genderneutral von „Ihrem Herzensmenschen“ oder „Ihrem Sonnenschein“, einmal beherzt progressivistisch, dabei allerdings die eben noch praktizierte Neutralität über Bord werfend, auch von einem Bukett für „Ihren Liebsten“.

Übrigens fühle ich mich von solchem Wandel keineswegs bedroht. Ich mag Blumen. Gleichwohl sollte man sich verdeutlichen, wie tief ein solcher Wandel einschneidet. Deshalb mag es nicht zur Gänze sinnlos sein, sich an Chestertons Zaun zu erinnern: Wenn wir den Zweck (oder die Daseinsberechtigung) einer Institution nicht erkennen, folgt daraus nicht, daß kein solcher Zweck (keine solche Daseinsberechtigung) vorliege; vielleicht haben wir bloß nicht lange genug darüber nachgedacht.

(Bild: Gemälde von Pierre-Auguste Renoir. Wikimedia Commons, gemeinfrei.)