Ein höflicher junger Mann…
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Ein höflicher junger Mann…

…aus Deutschland, den ich da kürzlich in Krakau getroffen habe.  Doch hat er alle Üblichkeiten des sozialstaatlich-ökologischen Konsenses so brav repetiert, daß ich an Stanisław Jerzy Lec‘ Aphorismus denken mußte: „Czasem psy merdają łańcuchem.“ (Das ist: Manchmal wedeln die Hunde mit ihrer Kette.)

Quelle:  Stanisław Jerzy Lec, Myśli nieuczesane, Warschau 2017, S. 198. Bild: John Singer Sargent: Zeichnung von Edwin Austin Abbey (Wikimedia, gemeinfrei).

Laß Dir nicht einreden, Du könnest nichts tun

Laß Dir nicht einreden, Du könnest nichts tun

Jeder kann sich dort, wo er ist, bewähren. Vor allem sollte er sich nichts anderes einreden lassen.

Wie Götz Aly berichtet, weigerten sich Bank- und Verwaltungsleute im unterworfenen Belgien, mit den Deutschen bei der Ausplünderung der Juden zu kooperieren:

Die belgischen Generalsekretäre der einzelnen Ministerien, die an Stelle der geflohenen Regierung ein Verwaltungskabinett bildeten, verweigerten „die Mitarbeit mit Rücksicht auf Verfassungsschwierigkeiten“. Ihre Haltung hob sich von der sonst in fast allen Ländern Europas üblichen Kollaboration deutlich ab. […] Auch zeigt sich, wie der Erfolg der deutschen Enteignungspolitik dort abnahm, wo das antisemitische Wohlwollen landeseigener Beamten und Bankangestellter ausblieb. […] So hatte der Procureur du Roi den Notaren des Landes schlicht untersagt, Verträge zu beurkunden, mit denen Liegenschaften von Juden veräußert werden sollten. Die Besatzungsgewaltigen […] zwangen den Mann zum Rücktritt. „Seine Anordnung blieb jedoch wirksam“, weil sich niemand in der belgischen Justiz bereit fand, sie zu annullieren.

Damit nicht genug. Auch die Registergerichte des Landes spielten nicht mit:

Sie weigerten sich beharrlich und bis zum Schluss, jene 6057 jüdischen Unternehmen, die von den Deutschen liquidiert worden waren, aus dem Handelsregister zu tilgen. Daraufhin sollte das belgische Justizministerium die Streichung von Amts wegen vornehmen. Auch das misslang.

Wie in anderen besetzten Ländern auch, verlangten die deutschen Machthaber, daß die belgischen Juden ihre Vermögen deklarieren. Insgesamt wurden 28.100 Vermögenserklärungen eingereicht.

Doch konnten sich viele belgische Juden der Preisgabe ihrer liquiden Mittel, Schließfächer, Konten und Aktiendepots entziehen, weil sich die Direktoren wie die Angestellten belgischer Banken nicht um die Identifizierung ihrer jüdischen Einleger kümmerten. Selbst auf den ersten Blick erkennbare Konten von Juden blieben unberührt.

So eben ist es: Jeder kann sich dort, wo er ist, bewähren. Und er sollte sich nichts anderes einreden lassen.

(Götz Aly, Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus. Durchgesehene und erweiterte Ausgabe, Frankfurt a.M. 2006, S. 230-232. Bild: John Singer Sargent, Study of a Figure for Hell, Wikimedia Commons.)

Wenn man all die jungen Westler in ihren Vollbärten sieht…

Wenn man all die jungen Westler in ihren Vollbärten sieht…

…gewinnt man den Eindruck, sie kämpfen mit ihren Kinnwäldern um jedes Gran Respektabilität, das ihnen im Dauerfeuer unserer progressiven Freund/*/inn/e/n gegen weiße heterosexuelle, womöglich auch nicht ganz blöde, dazu arbeitsame, freundliche und verläßliche Männer geblieben ist, und im ‚bloß‘ Äußerlichen gegen diesen mehr als sinistren Slim-Stil in der Herrenbekleidung an, der sämtliche Kleidungsstücke – ob Sakko, ob Hemd, ob Pullover – wirken läßt, als seien sie eingelaufen oder aus dem Fundus des jüngeren Bruders entwendet worden.

(Bild: John Singer Sargent: An Out-of-Doors Study, gemeinfrei.)

Kurt Schlichter: Ich armes Opfer Eures Hasses, Ihr Hasser

Kurt Schlichter: Ich armes Opfer Eures Hasses, Ihr Hasser

As a person of absolutely no color who embodies an intersectional reality that includes my utter lack of genderfluidity and my unemployment-questioning, differently-veteraned, and non-pagan experiences, I am totally oppressed by progressivism’s hegemonic power structure. I am also the victim of a systemic system of hostile paradigms that denies my truth regarding my phallo-possessory identity.

I bear a heavy burden in the form of my pasty, easily-sunburned skin. For too long, the fact that a previous Schlichter was booted out of Stuttgart in 1750 has meant that I have been subject to the hateful discourse of unabashed Fritzophobes. And that’s when society hasn’t stolen my Teutonic legacy outright. You are culturally appropriating my cold, emotionless people’s heritage every time you are punctual and efficient.

Sie finden den Rest hier.

(Bild: John Singer Sargent, Lord Ribblesdale.)

Ästhetischer Monismus
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Ästhetischer Monismus

Beispiel 1. Janice Fiamengo:

A teacher can spot them easily in a crowded classroom, even surrounded as they are by the indifferent and the inept: the teachable students. They are the ones who nod at the salient points in the lecture, their eyes brightening with fellow feeling. Not unlike the “remnant” of evangelical theology — the sincere believers who keep the true faith alive while others turn to false gods — the teachable students still believe in ideas, still seek after truth. Most teachers look for them as for a life preserver, their hearts lifting at the first glimpse.

Beispiel 2. Stefan George:

Unlängst erzähltest du vom früheren freund:
Sein helles aug ward matt · sein mund der blühte
Ward saftlos · enge ward die hohe Stirn…
Ich weiss nicht ob du leib ob seele maltest.‹

(Das Neue Reich, „Leib und Seele“. Bild: John Singer Sargent: Vernon Lee.)

Röpke lesen und lernen

Röpke lesen und lernen

Wilhelm Röpke zählt zu den „stillen“ Großen deutscher Wissenschaft. Sein Denken verbindet Nationalökonomie und Geisteswissenschaft, wie kaum sonst zu finden; es zeigt, wie die Ergebnisse „der anderen Seite“ berücksichtigt sein wollen, und es tröstet, wo jene Einseitigkeit, die notwendig in Beschränktheit mündet, nicht zur Kenntnis nehmen will, was Kenntnisnahme verdiente. Deshalb ist es erfrischend unmodisch.

Eine der schönsten Passagen aus dem Röpke’schen Werk sei nun gegeben:

Daß freilich ein Buch wie dieses, das die Dinge ohne billige Trostgründe beim Namen nennt, nicht ganz ins Leere gesprochen zu sein scheint, gehört zu den Umständen, die Hoffnung machen. Die Aufnahme, die es […] gefunden hat, läßt im ganzen erkennen, daß ich mit vier Möglichkeiten der Reaktion zu rechnen habe.

Da sind erstens diejenigen, die das Buch en bloc ablehnen, weil es ihren mehr oder weniger kollektivistisch-zentristischen Ideen vollständig zuwiderläuft. Da sind zweitens die anderen, die an diesem Buche, das sich „Jenseits von Angebot und Nachfrage“ nennt, eigentlich nur das zu schätzen scheinen, was diesseits und nicht jenseits liegt, die unbekehrten Rationalisten, die hartgesottenen Ökonomisten, die prosaischen Utilitaristen, die vielleicht meinen, daß aus dem Verfasser bei fester Führung ein halbwegs brauchbarer Nationalökonom hätte werden können. Da sind umgekehrt drittens diejenigen, die den Ökonomisten in mir selber als allzu hartgesotten tadeln und dafür nur den Teil des Buches loben, der von den Dingen „jenseits von Angebot und Nachfrage“ handelt, die reinen Moralisten und Romantiker, die mich vielleicht als Beweis dafür anführen, wie eine reine Seele durch die Ökonomie verdorben werden kann. Da sind endlich diejenigen, die dem Buche als ganzem günstig gesinnt sind und es als seinen Vorzug ansehen, daß es die drei anderen Gruppen herausgefordert hat.

Ich würde aus meinem Herzen eine Mördergrube machen, wenn ich nicht offen bekennen würde, daß mir die vierte Gruppe die liebste ist.

Die Botschaft dieser Zeilen ist deutlich. Wenn ein Geisteswissenschaftler auf Fragestellungen stößt, zu deren Beantwortung Kenntnisse der Nationalökonomie nötig sind, sollte er sich nicht davor drücken, den einen oder anderen Klassiker dieser Wissenschaft zu konsultieren. Wer angesichts eines Werkes, das Röpke, von Mises oder von Hayek verfaßt haben, ausruft: „Oeconomica sunt, non leguntur!“ handelt nicht vornehm, sondern kindisch. Fürchtet er, durch eine Erweiterung seines Horizonts zu verlieren? Wie das Beispiel Brecht zeigt, wird der in ökonomischer Hinsicht willentlich „blinde“ Geisteswissenschaftler sich eher ein X vor ein U machen lassen, wenn er auf persuasive Texte trifft.

Es ist mir gut erinnerlich, wie in einem Seminar über die sogenannte Kommunitarismus-Debatte – die sich um eine bestimmte Spielart antiliberaler Kritik dreht – erbittert gerungen worden ist. Dabei wäre viel Streit zu vermeiden gewesen, wenn sich die anwesenden Philosophen bereit gefunden hätten, Rat bei Rechtstheoretikern zu suchen, um sich über einige grundsätzliche Eigenschaften des Rechts zu informieren. Auch hier gilt: Der geisteswissenschaftliche Diskurs hätte von einem Blick über den Tellerrand nur profitieren können.

Wie fügt sich Röpkes Werk in das Weltbild eines Botho Strauß? Gelassener Ton, gelinde Ironie, Eleganz im Ausdruck, Liebe zur Sprache – von „unholfenem Informationsaustausch“ (Strauß) kann bei Röpke keine Rede sein. Von einem Zugang zur Welt als „Ingenieursphantasie“, die „das Reservoir des Möglichen plündere“, gleichfalls nicht.

Für „die andere Seite“ zeigt sich Röpke nicht minder wertvoll: Selten wird mit solchem Charme der Nachweis erbracht, daß Liberalismus auf Privateigentum und Marktwirtschaft gründet, mitnichten aber auf diese beiden Größen zu reduzieren sei.

(Der Auszug stammt aus dem Vorwort zur dritten Auflage von Röpkes Jenseits von Angebot und Nachfrage, abgeschlossen im Januar 1961; zitiert nach der vierten Auflage, Erlenbach-Zürich und Stuttgart 1966. Bild: John Singer Sargent: Henry Tonks, 1918.)